Gehen Kindermedienmacher richtig mit ihrer Verantwortung um? Als Impuls für die spätere Podiumsdiskussion lieferte Roland Rosenstock acht Thesen der Medienethik und zahlreiche Best-Practice-Beispiele.
Dr. Roland Rosenstock ist Professor für Religions- und Medienpädagogik an der Universität Greifswald und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit Fragen der Medienethik und der Medienkompetenzentwicklung.
These 1:
Kinder haben ein Recht auf einfache Darstellung komplexer Sachverhalte, ohne dass ihnen etwas vorenthalten wird.
„Wie erinnern wir uns an unsere eigene Kindheit? Was war eine heile Kindheit?“, bezugnehmend auf Stephan Grünewalds Vortrag vom Vortag, stellte Rosenstock fest, dass die Bilder, die die eigene Kindheit prägten, revidiert werden müssten. Eltern und Medienmacher seien gefordert, die heutige Kindergeneration auf eine Zukunft vorbereiten, die schwer vorhersehbar sei. Es gebe dementsprechend kein Thema, das für Kinder nicht relevant wäre. Laut Artikel 17 der UN-Kinderechtskonvention (CRC 1989) hätten Kinder ein Recht auf Informationen. Dies gelte auch und besonders für die Themen „Krieg“, „Katastrophen“ und „Terrorismus“, denn diese Bilder prägten die Welt in die Kinder hineinwachsen. Dabei käme fiktionalen Beiträgen eine wichtige Aufgabe zu. Tendenziell würden schwierige Themen stark vereinfacht oder auch gar nicht dargestellt werden. Die Verantwortung der Kindermedienmacher liege somit besonders bei der Auswahl der Informationen; und: Ob Kinder die ausgewählten Informationen auch verstehen und verarbeiten können.
Als Beispiele nannte Rosenstock die Kindernachrichtensendung LOGO. Dabei handele es sich um ein sehr gutes Format, das jedoch nicht allen Kindern zugänglich sei. Deshalb müsse die Branche alternative Formate enwickeln.
These 2:
Kinder dürfen sich von medialer Berichterstattung nicht bedroht fühlen
Die Medienwelt dramatisiere und emotionalisiere sehr stark. Kinder empfänden Erwachsenen-Nachrichten daher oft als bedrohlich. Die mediale Berichterstattung über Krieg, Terrorismus und Flucht könne Ängste auslösen oder bereits vorhandene Ängste verstärken. Eine „übermäßige Angsterzeugung“ sei aus Sicht des Kinder- und Jugendmedienschutzes eine Risikodimension, die die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern nachhaltig beeinträchtigen könne. Es entstünden neue Kanäle, die schwer prüfbar seien. Daher sei es nötig, etwa angesichts neuer Streamingformate wie Netflix, noch mehr Möglichkeiten zur Medienbildung zu schaffen.
„Kindermedienmacher haben eine besondere Verantwortung, für einen geschützten medialen Raum zu sorgen, in dem das Gute über das Böse siegt und die Hoffnung stärker ist als der Tod“, meint Rosenstack. Eine positive Einstellung zur Zukunft müsse übermittelt werden. Auch wenn Erwachsene wüssten, dass es das Gute und das Böse nicht gibt, sei es für Kinder wichtig, dass das Bedrohliche am Ende unterliegt und der Kraft des Guten nicht dauerhaft schaden kann.
Als Beispiel führte Rosenstock hier unter anderem einen Artikel von Ansbert Kneip, dem leitenden Redakteur von „Dein Spiegel“ über den Amoklauf in München auf.
These 3:
Kinder begegnen Gewalt und Tod im Alltag und in den Medien
Die Welt von Kindern sei keine heile Welt, erklärte Rosenstock. In ihrem Alltag und in ihrer Vorstellungswelt spielten die Themen Tod und Abschied eine große Rolle. Medien hätten die Möglichkeit, Leiden zu zeigen und den Tod zu symbolisieren. Dadurch würden die Erfahrungen und die Fantasien der Kinder noch verstärkt. Kindermedienmacher hätten laut Rosenstock eine besondere Verantwortung bei der altersgerechten Aufarbeitung der Informationen. Deshalb dürften der „Tod“ und das „Leiden“ kein Tabu sein. Um die Fragen der Kinder und ihre Fantasien erzählerisch und bildlich zum Thema zu machen, sei es wichtig, dass Kindermedienmacher wüssten, welche Todeskonzepte Kinder entwickeln und wie sie mit Gewalt und Trauer umgehen.
Als Beispiel diente hier unter anderem Disneys Bambi: Die Mutter stirbt am Anfang. Ihr Tod werde nicht dramatisch dargestellt, jedoch vom Zuschauer emotional erfahren.
These 4:
Kinder identifizieren sich besonders mit den Schicksalen von Kindern
Hier kam Rosenstock auf die Bedeutung von Bildern zu sprechen. Früher habe der Pressekodex keine Abbildungen von toten Kindern erlaubt. Mittlerweile gebe es dahingehend eine neue Entwicklung in den Medien, wie das traurige Schicksal des syrischen Flüchtlingskindes Aylan Kurdi gezeigt habe. Das Foto des Leichnams sei zu einem Symbolbild geworden. Unterschiedliche Perspektiven auf den leblosen Körper am Strand seien crossmedial verbreitetet worden. Auch Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren hätten die Bilder von der Leiche gesehen. Man müsse sich deshalb bei solchen Bildern im Klaren darüber sein, dass auch Kinder Zugänge dazu hätten.
„Kindermedienmacher haben eine besondere Verantwortung für die Reflexion über die Darstellung von Kindern in den Medien. Es ist wichtig, dass sie sich als Experten aktiv an der Diskussion beteiligen, ob und wie Bilder von Kindern als Opfer gezeigt werden können“, fasst Rosenstock abschließend zusammen.
These 5:
Kinder haben ein Recht darauf, die Vielfalt von Lebensmodellen gleichwertig vermittelt zu bekommen
„Medien verstärken Stereotypen und Rollenklischees, etwa über die geschlechtliche Zuordnung von Farben“, meint Rosenstock. Deshalb seien alternative Bilder wichtig. Kinder suchten nach Leitfiguren, an denen sie sich bei ihrer Identitätsarbeit orientieren können. Kindermedien böten wichtige Formate und Charaktere für die Identifikation von Jungen und Mädchen an. „Kindermedienmacher haben eine besondere Verantwortung, auf die veränderte Lebenswirklichkeit von Kindern zu reagieren, etwa auch Patchwork- und Flüchtlingsfamilien, und homosexuelle Paare zu zeigen“, erklärt Rosenstock. Man müsse Geschlechterstereotypen entgegensteuern und Medienvorbilder entwickeln, die den heutigen Ansprüchen von Diversität entsprächen.
Als Beispiel nannte Rosenstock hier etwa die französische Animationsserie „Sally Bollywood“ Eine indisches Mädchen agiere als mutige Detektivin und vermittle ein anderes Frauenbild. Sie zeige, das Mädchen sich wehren könnten, Kulturen gzusammengehörten und Unterschiede normal seien.
These 6:
Kinder brauchen eine transparente Trennung von Werbung und Information um Werbekompetenz auszubilden
Kinder seien eine wichtige Zielgruppe der Markenbindung. Dabei spiele das Vertrauen von Eltern und Kindern zur Marke eine wichtige Rolle. Während es beim Kinderfernsehen und bei Printprodukten Standards für eine Trennung von Werbung und Information, PR und Inhalte gebe, seien vergleichbare Standards bei Webseiten und mobilen Apps nicht immer erkennbar.
„Kindermedienmacher haben eine besondere Verantwortung dafür, dass Kinder Werbekompetenz entwickeln können, damit sie die eigenen Wünsche und Bedürfnisse von solchen unterscheiden können, die mit dem Ziel einer Produktvermarktung bewusst erzeugt werden“, meint Rosenstock. Kinder müssten unterscheiden können, was ihnen angebten werde und was sie sich selbst wünschten. Deshalb müsse man auch für das Internet und mobile Anwendungen Standards entwickeln, die Marketing- und PR-Interessen transparent von Inhalten abgrenzten.
Zu den neue Werbeformen zählten vor allem Youtube-Kanäle, wie etwa Bibis Beauty Palace. Der Kanal werde von DM als Werbeformat genutzt, dabei sei jedoch das Product placement für Kinder nicht erkennbar. Diesen Formaten müsse man besondere Aufmerksamkeit widmen. „Es handelt sich dabei um perfides Kindermarketing“, befindet Rosenstock. Alle Standards würden über den Haufen geworfen. Deshalb müssten Medienmacher sich Alternativen zu Youtube überlegen.
These 7:
Kinder haben ein Recht darauf, die Informationen zu finden, die sie suchen.
Kinder suchten in den Medien Antworten auf Fragen, die sich ihnen in ihrem Alltag stellten. Dabei träfen sie auf ungefilterte Inhalte für Erwachsene, während speziell an sie gerichtete gute Angebote im Ranking der Suchergebnisse verschwänden oder für sie nicht auffindbar seien. Suchmaschinen müssten optimiert werden. „Kindermedienmacher haben eine besondere Verantwortung dafür, intelligente Möglichkeiten der Vernetzung von Medienangeboten für Kinder zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass kindgerechte Medienangebote klar gekennzeichnet und auffindbar sind“, meint Rosenstock.
These 8:
Kinder brauchen mehr Partner, um ihre Perspektiven besser einbringen zu können.
Kinder würden in einer mediatisierte Gesellschaft aufwachsen, in der nur eine aktive und kritische Medienbildung eine kompetente gesellschaftliche Teilhabe ermögliche. Auch wenn das Fernsehen noch immer das wichtigste Medium für Kinder sei, würden die Möglichkeiten der mobilen Mediennutzung neue Möglichkeiten der Partizipation ermöglichen. Kindermedienmacher müssten daher partizipatorische Angebote für Kinder zu entwickeln. Darüber hinaus benötigten Kinder in den Medien auch ein Gegenüber, bei dem sie ihre Neugier einbringen und ihre Ängste artikulieren könnten.
Text: Max Wiegand