Nach der Theorie der Podien sei es Zeit für die Praxis – so eröffnete Moderatorin Imke Emmerich den Workshop „Die Welt vor der Haustür: Kinder für lokale Themen begeistern“. Best Practice-Beispiele sollten vorgestellt werden, jeweils mit lokalem Bezug.
Zunächst fragte Moderatorin Imke Emmerich, wie viele der Teilnehmer aus dem Lokaljournalismus kommen, woraufhin sich etwa die Hälfte meldete. Auf die Frage, wie viele Teilnehmer fest mit einer Kinderredaktion zusammenarbeiten, meldete sich hingegen nur einer. Genau dies war einer der Kernpunkte des Workshops.
Denn alle der versammelten Teilnehmer betreiben Angebote von, mit und für Kinder. Es sprachen Marion Schäfer, Mitherausgeberin der Münchner Kinderzeitung, die Journalistin Gaby Reif, Medienpädagogin beim Radio Okerwelle, und Mischka Franke, der auf ALEX, dem Offenen Kanal Berlin, Medienformate für Kinder und Jugendliche entwickelt.
Radio Okerwelle
Den Anfang machte Gaby Reif, die ihr Bürgerradio-Projekt Okerwelle vorstellte. Die Redaktion arbeite fest mit einer Kinderredaktion zusammen, mit der sie die Themen abspricht, sagte Reif. Oftmals würden die Kinder dabei eigenständig ganze Sendungen entwerfen und auch das Schneiden der Beiträge übernehmen. Sie unterstütze die Kinder vor allem bei der Organisation. „Lokale Themen haben einen großen Vorteil für Kindermedien“, sagte Reif zur Themenwahl. „Die Kinder kennen sich in ihrer Gegend aus. Und sie können schnell und eigenständig vor Ort sein.“ Oftmals würden die Kinder dabei ernster genommen werden, wenn sie ohne Begleitperson zu den Terminen gehen. Die Beiträge würden eine breite thematische Spannbreite abbilden: vom örtlichen Fußballverein bis zum Thema Flüchtlinge. Derzeit bestehe die Redaktion aus 10 Kindern, vor allem Jungs, sagte Reif. Honoriert würden die Kinder vor allem durch Anerkennung, mitunter gebe es aber auch Kinofreikarten und ähnliches.
Münchner Kinderzeitung
Marion Schäfer gründete 2007 die Münchner Kinderzeitung – auf Wunsch der Teilnehmer des Münchner Kinderforums, die sich mehrfach eine eigene Kinderzeitung gewünscht hatten. Die Vorstellungen der Kinder seien dabei eindeutig gewesen, sagt Schäfer: Die Gestaltung der Zeitung sollte professionell sein, also auf Kinderzeichnungen etc. verzichten, die Themen hingegen sollten von den Kindern stammen. „Die Kinder sagen, was in der Zeitung stehen soll“, sagt Schäfer. Wichtig sei dabei die „München-Perspektive“. Es gehe immer um stadtrelevante Themen, etwa um interessante Menschen und Orte in München. Bei Themen, die nicht direkt München betreffen, suche die Redaktion immer nach einer Verbindung zur Stadt. „Man kann jedes Thema aufgreifen“, sagte Schäfer. Man müsse nur einen Rahmen finden, in dem Kinder sich entfalten können.
Die Münchner Kinderzeitung erscheint vierteljährlich mit einer Auflage von 50.000 Stück und richtet sich vor allem an Kinder im Alter von acht bis 12 Jahren. Wichtig sei, dass Kinder aller Bildungsschichten die Zeitung lesen könnten – daher sei sie auch kostenlos und wird an Schulen verteilt. „Die Zeitung wird über Sponsoren finanziert“, sagte Schäfer. Derzeit bestehe die Redaktion aus 20 Kindern. Wichtig sei ihr, dass die Kinder nicht nur die Themen vorschlagen, sondern auch die Schlussredaktion übernehmen, sagte Schäfer. „So können wir sicherstellen, dass die Zeitung ihre Adressaten auch wirklich erreicht“.
ALEX Offener Kanal Berlin
Braucht man im Internet-Zeitalter überhaupt noch Bürgerkanäle? Ja, meinte Mischka Franke von ALEX, dem Offenen Kanal Berlins, und umriss zunächst das Angebot des Senders, der sowohl Fernseh- als auch Radioprogramme bietet. Der Sender besitze unter anderem eine eigene Aus- und Fortbildungsabteilung, in der Interessierte den Umgang mit Film- und Tontechnik erlernen, sagte Franke. Besonders hervor hob Franke, dass die Ergebnisse dann auch tatsächlich zu sehen seien. „Bei uns können sich die Kinder ausprobieren und mit verschiedenen Medien experimentieren.“ Im Anschluss stellte Franke verschiedene Formate des Senders vor, unter anderem „Volltreffer“, eine Schülertalkshow für Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren. Besonderen Wert lege man dabei auf eine „Peer to Peer-Ausbildung“, sagte Franke. Kinder, die schon länger dabei sind, zeigen den Neuankömmlingen, was zu tun ist. Es gehe dabei immer um politisch relevante Themen, die die Kinder interessieren – „von der Frage der Mülltrennung, über das Thema NPD-Verbot bis zu religiösen Festen“.
Als weitere Beispiele für Angebote des Senders nannte Franke das Format „Fingerzeig“, eine Talkshow in deutscher Gebärdensprache, „BerlinImpuls“, ein Jugendmagazin für Jugendliche im Alter von 16 bis 24 Jahren, und „Freistunde“, ein Workshop-Format für Schulklassen. Der große Vorteil an den verschiedenen Formaten bestehe darin, dass sie durchlässig seien, sagte Franke. Das heißt, Kinder könnten hausintern die verschiedenen Formate durchlaufen.
Diskussion
Was sollte Ziel von Kindermedien sein? Geht es darum, Kinder an die Marke zu führen? Oder eher darum, Kinder journalistisch zu schulen? Diese Fragen standen am Anfang des Diskussionsteils.
„Bei uns steht das Machen im Vordergrund“, sagte Franke. Wichtig sei dabei vor allem der Aspekt der Veröffentlichung, der Umstand, dass es sich nicht um eine reine Übung handle. Erst dadurch würden die Kinder das professionelle Arbeiten lernen.
Wie kann man eine Kinderseite gestalten, wenn für eine Kinderredaktion Zeit oder die Ressourcen fehlen, fragte eine Teilnehmerin. Frankes Tipp: „Surfen, so wie Kinder surfen würden. Oder Schulprojekte organisieren.“ Auch Schäfer empfahl den Aufbau eines Netzwerkes an Kindern als Ideengeber.
Reif hingegen meinte, dass die Interessen der Kinder und Erwachsenen gar nicht so sehr divergieren. „Bei vielen aktuellen Themen stellen sich Kinder dieselben Fragen wie die Erwachsenen.“ Allerdings müsse man, um Kinder zu erreichen, die Gefühlsebene stärker ansprechen. Zudem müsse man Kindern dazu ermuntern, aus „ihrer Perspektive“ zu schreiben, da sie sonst dazu neigen würden, konservative Themen aufzugreifen und diese auch in einer „wertneutralen“, oftmals langweiligen Haltung wiederzugeben. „Man muss ihnen Mut machen, sich selbst auszudrücken, weil sie sonst klingen wollen wie die Erwachsenen.“
Zur Funktion von Kinderseiten
Sollten Redakteure von Kinderseiten den Kindern mehr Raum geben? Oder geht es eher darum, sie zu informieren? „Man sollte beides kombinieren“, sagte Schäfer. „Kinder wollen Inhalte über das aktuelle Geschehen. Andererseits sollte man auch immer Kinder abbilden, mit eigenen Statements und so weiter.“ Ob die Themen wirklich aufgenommen und akzeptiert werden, evaluiere die Zeitung bei den jährlich stattfindenden Zeitungsworkshops an Schulen. „Wir bekommen inhaltliches und gestalterisches Feedback. Oftmals in Form kurzer Statements“, sagte Schäfer.
Der Blick in die digitale Zukunft
Franke sagte, bei ALEX habe es eine Verschiebung gegeben. Inzwischen würden viele Beiträge zunächst online und erst dann auf dem Fernseh- oder Radiokanal veröffentlicht.
„Kinder wollen die alten klassischen Medien“, sagte hingegen Reif. „Sie wollen, dass ihre Beiträge nicht nur im Internet sondern auch im ‚richtigen’ Radio ausgestrahlt werden.“
Die Münchner Kinderzeitung betreibe neben der gedruckten Zeitung bereits einen Blog, sagte Schäfer. „Die Kombination ist aber wichtig“. Auf die Frage, warum sie trotz höherer Kosten an einer gedruckten Zeitung festhalte, erwiderte Schäfer: „Weil wir alle Kinder erreichen wollen. Das wäre bei einer reinen Onlinepräsenz nicht der Fall“.