Wie Kindermedien über Tragödien berichten können

Um die „Gratwanderung“ der Kindermedienmacher in Krisenzeiten ging es Stephan Grünewald im ersten Vortrag der 5. Kindermedienkonferenz. Er unterbreitete sechs konkrete Handlungsanweisungen.

Der Syrienkonflikt, Terroranschläge und tragische Schiffsunglücke von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer prägten das Jahr 2016 in bisher ungekanntem Ausmaß. Doch wie erklärt man als Medienmacher Kindern solche Schreckensmeldungen? Damit befasste sich Stephan Grünewald, Diplom-Psychologe und Mitgründer des rheingold-Instituts, im ersten Beitrag der Kindermedienkonferenz.

Stephan Grünewald, rheingold Foto: Gerd Metzner

Stephan Grünewald, rheingold Foto: Gerd Metzner

Grünewald betreibt seit Jahren Marktforschung mit dem rheingold-Institut, gerade im Bereich der Kinder- und Jugendmedien. Als grundsätzlichen Kontext stellt er zu Beginn des Vortrags eine rheingold-Studie aus dem Jahr 2015 vor, die sich mit der Lebenswirklichkeit der Kinder beschäftigte. Die Ergebnisse gäben auch Antworten auf die Frage danach, wie man über Tragödien für Kinder berichten solle, erklärt Grünewald.

Forschungsergebnisse

So wüchsen etwa viele Kinder aus dem mittelständischen Milieu heute zwar in wohlbehütetem Umfeld auf, mit verständnisvollen Eltern. Doch im Vergleich zu früheren Generationen empfänden sie diese Lebenswelt nicht als endgültig gefestigt, was auch mit dem hohen Anteil an Patchworkfamilien zu tun habe. So beschäftige alle Kinder die Frage danach „was passiert, wenn mein Zuhause auseinanderbricht?“, sich also die Eltern trennen.

Grünewald spricht deshalb vom „Damoklesschwert der Trennung“, das über der Kindheit schwebe und Kindern nicht das Gefühl gebe, in einem stabilen Umfeld groß zu werden. Deshalb seien sie erstaunlich sensibel, was Konflikte in der Familie angehe. Sie fühlten sich verantwortlich dafür, die Famile selbst zu stabilisieren und übernähmen früh viel Verantwortung. So sei die Angst der Kinder vor einer Tragödie zuhause größer, als die vor externen Tragödien.  „Ihr zentrales Thema ist familiäre Innenpolitik“, schlussfolgert Grünewald.

Anschließend nennt er  sechs Anregungen, wie man im Zeichen von Tragödien mit Kindern umgehen sollte.

Sechs Tipps

  1. Tragödien nicht ausblenden! Kinder spüren Beunruhigung. Sie müssen diese einordnen können, um zu verstehen, was ihre Eltern bewegt und verängstigt. Sonst glauben sie, dass es mit der Familie selbst zu tun habe, was wiederum ihre Grundangst vor der Destabilisierung befeuert.
  2. Nicht beschönigen! Wenn man zu sehr vereinfacht, wird man Kindern nicht gerecht. Vielmehr schadet eine zu starke Abschirmung vor dem „Bösen“. In den alltägliche Nachrichten findet man auch Themen der Kinderseele. Negative Emotionen wie Rivalität, Streit, Gewalt, Liebe, Verrat sind genauso in der kindlichen Lebenswelt zu finden. Kinder suchten deshalb nach Gleichnissen und Bildern, um die eigene Gefühle einzuordnen. Sie verstehen etwa den Syrienkrieg dadurch, was sie selbst fühlen. Medienmacher müssen deshalb Gleichnisse für die eigenen Konflikte der Kinder bieten.
  3. Nicht zu sehr vereinfachen: Geschichten erzählen! Es lässt sich am Beispiel einer Familie aus Syrien das Ausmaß der Katastrophe auch für Kinder verständlich machen. Kinder brauchen einen erzählerischen Zugang, in dem sie ihre individuellen Erfahrungen abgebildet finden.
  4. Kinder brauchen keine Fakten! Bei der medialen Aufbereitung soll man hingegen immer nach dem kindlichem Themenkomplex schauen. Beispiel Flüchtlingskrise: Die Thematik ist für Kinder selbst relevant. Wir alle sind Flüchtlinge. Kinder erleben früh eine Art Fluchtschicksal, wenn sie den Weg aus dem Zuhause in die Außenwelt gehen. Sie empfinden Befremden bei Konflikten mit Mitschülern und Autoritäten. Wichtig ist es, Analogien zu finden. Grimms Märchen haben sich in dieser Hinsicht bewährt. Sie bilden negative Emotionen und Tragödien ab und greifen innere Konflikte und Themen der Kinder auf.  Beispiel: Hänsel und Gretel: Aufgrund äußerer Notverhältnisse müssen Kinder aus Versorgungsdomizil in fremde unwirkliche Welt aufbrechen und sind dort auf sich allein gestellt. Kinder verstehen solche Geschichten emotional.
  5. Kinder nicht zutexten, sondern zuhören! Man muss Kinder nach ihrer Version des Erlebten fragen, um in Dialog und Auseinandersetzung mit ihnen zu treten zu können. So erfährt man, wie Kinder das Weltgeschehen verstehen. Sie bilden völlig andere Muster aus als rationale denkende Erwachsene. Erst wenn man diese versteht, weiß man, wo man gegebenenfalls eingreifen muss.
  6. Den Kindern keine Angst machen! Wichtig ist, dass Medien und Eltern sich als Schutzinstanz zu verstehen geben. Den Kindern verdeutlichen: „Wir konfrontieren dich mit Schrecklichem, aber wir kümmern uns darum“.  Dasselbe gelte auch für das anfangs angesprochene „Damoklesschwert der Trennung“. Kinder dürfen nicht zu Alltagstherapeuten der Eltern werden. Auch bei familiären Konflikten sei es wichtig, nicht zu beschönigen, sondern Konflikte offenzulegen. Aber letztendlich müsse man selbst die Verantwortung übernehmen, um den Kindern den stabilen Rahmen zurückzugeben.

Text: Max Wiegand